Die Frage nach Feedback ist einer der häufigsten Aufhänger für Diskussionen auf Social Media. Wie wertschätzend ist noch hilfreich? Und wie direkt ist schon beleidigend?
Wenn du mir auf Instagram folgst, was du natürlich unbedingt tun solltest, hast du vielleicht in meinem Adventskalender meine Meinung zu Feedback gesehen:
„Jedes Feedback hilft. Auch wenn Leser*innen dir schreiben, dass deine Texte zu wirr, unverständlich oder inhaltlich falsch sind. Oder dass dein Stil komisch klingt. Jede Rückmeldung bringt dich weiter. So kannst du lernen, klar verständlich und gut strukturiert zu schreiben. Gut zu recherchieren. Deinen Stil beizubehalten – oder nochmal mit der Zielgruppe abzugleichen. Also ärgere dich nicht über negative Kommentare. Versuch einfach, das Beste daraus mitzunehmen.“
In der Praxis ist Feedback allerdings oft schwierig, besonders auf Social Media. Falls du Mitglied in Facebook-Gruppen für selbstständige Frauen bist, hast du vermutlich schon Diskussionen gesehen, deren Ausgangspunkt genau das ist: Eine Frau bittet um Feedback für ihre Website-Bilder, ihren Claim oder einen Produktnamen, die Community antwortet. 15 Kommentare später sind wir noch nicht direkt beim Hitler-Vergleich, aber kurz davor. Nachdem die erste Diskussion zuverlässig entgleist ist und im schlimmsten Fall von den Admins geschlossen wurde, taucht ein weiterer Thread auf, in dem das Thema auf Metaebene weiter diskutiert wird. Hinterher sind alle genervt: Die Fragestellerin hat zwar Feedback bekommen, dass sie jedoch zum Teil als verletzend und destruktiv empfindet, während die Community in zwei Lager gespalten ist, die sich gegenseitig Überempfindlichkeit beziehungsweise mangelnde Wertschätzung vorwerfen. In Anlehnung an eine Diskussion in der Gruppe der Digital Media Women bezeichne ich diese beiden Lager als #teamwertschätzung und #teamklarekante. (Damit das niemand falsch versteht: Die Diskussion war deutlich konstruktiver als der Extremfall, den ich hier schildere. Ich fand einfach die Bezeichnungen gut).
Weichgespült oder wertschätzend?
Faszinierend an solchen Diskussionen finde ich, dass ja im Grunde beide Seiten ein Ziel haben: Sie wollen der Fragestellerin helfen, ein Problem zu lösen. Gleichzeitig lässt sich aber über die beste Art, diese Hilfe zu leisten, kein Konsens erzielen. Oft hat das mehrere Gründe:
- Erfahrung: Viele Frauen, die sich im #teamklarekante finden, sind nach eigener Auskunft schon jahrelang selbstständig. Und damit ist auch harsche Kritik an der eigenen Arbeit nichts Neues für sie. Denn auch meine Erfahrung ist, dass Kund*innen sich nicht immer die Mühe machen, ihre Meinung sozial kompatibel zu formulieren. Für Businessanfänger*innen dagegen ist Kritik oft relativ neu und wird – gerade wenn man vorher wochenlang am perfekten elevator pitch gesessen hat – oft als komplette Demontage der eigenen Business-Idee gesehen. Ja, auch daran kann ich mich noch erinnern.
- Tagesform: Auch Menschen, die im Alltag ein dickes Fell haben, haben mal schlechte Laune. Oder Ärger mit ihrem significant other. Oder der Hund hat gerade das Sofa in Schutt und Asche gelegt. Oder die Kinder haben RSV. Wenn ich in der entsprechenden Verfassung als erstes Feedback zu meinem Claim lese: „Versteh ich nicht,“ fällt es mir auch schwer, der Kommentatorin dankbar zu sein, auch wenn die Formulierung neutral ist.
- Fehlender Kontext: Ich selbst habe eine Tendenz zu flapsigen Kommentaren. Live in einer Coaching-Session oder einem Kundenmeeting war das nie ein Problem, denn die Leute kennen mich, sie sehen, dass ich lächele und es ist eben nur ein Satz unter vielen. Auf Social Media funktioniert das deutlich schlechter, denn Kontext, Mimik und Gestik fehlen. Und das lässt Kommentare oft schroffer wirken, als sie gemeint waren. Auch das Zeitproblem – man antwortet, hat aber nicht die Zeit, das eigene Feedback ausführlich zu begründen – spielt hier eine Rolle.
- Unterschiedliche Auslegung: Oft betonen in solchen Diskussionen alle Beteiligten, dass Feedback immer wertschätzend sein sollte, sind sich aber nicht einig, welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen. Während manche Frauen schon die Tatsache, dass sie kommentieren, als Beweis für Wertschätzung sehen, ist für andere jeder Kommentar, der keinen konkreten Verbesserungsvorschlag macht, nicht konstruktiv. Das gilt auch für Formulierungen: Wenn ich eine Produktbeschreibung als „nichtssagend“ bezeichne – ist das dann noch wertschätzend? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
- Safe space: Mitglieder im #teamwertschätzung begründen Kritik an Formulierungen der anderen Seite oft damit, dass die Facebook-Gruppe als geschützter Raum dienen sollte, in der man Ideen ausprobieren und diskutieren kann. Dabei steht oft die Möglichkeit im Raum, dass sich bestimmte Gruppenmitglieder aus Angst vor negativem Feedback nicht mehr an Diskussionen beteiligen oder sogar die Gruppe verlassen könnten.
- Persönlichkeit: Eine frühere Kundin von mir hat mal einen ersten Entwurf kommentiert mit: „Völlig daneben, das ist so nicht brauchbar.“ Und ich war ihr nicht eine Sekunde lang böse, denn der Kommentar zum Projekt davor war: „Mega, das Beste, was ich seit langem gelesen habe!“ Manche Menschen neigen in der Kommunikation zu Extremen und finden das dementsprechend auch bei anderen ok. Andere bleiben lieber differenziert und erwarten dieselben Nuancen auch von ihrer Umgebung.
Feedback: Wo stehe ich?
Ich habe mich bewusst bemüht, die unterschiedlichen Positionen einigermaßen wertneutral wiederzugeben. Das fällt mir auch deshalb leicht, weil ich, wie oft bei Grundsatzfragen, irgendwo in der Mitte lande. In diesem Fall bin ich #teamklarekante, aber nicht zu 100 Prozent. Warum ich den direkten Ansatz grundsätzlich gut finde, erkläre ich an einem kurzen Schwank aus meinem Leben:
Ich war vor Jahren auf einer Fortbildung zum Thema „Gut präsentieren“. Eine Teilnehmerin gab in der Vorstellungsrunde an, ihr größtes Problem sei Lampenfieber. In der Test-Präsentation in der ersten Session konnte ich dann sehen, was sie meinte: Die Arme hat die ersten fünf Minuten so stockend und leise gesprochen, dass ich weder ihren Namen noch den Namen ihrer Firma verstanden habe, danach wurde es etwas besser (aber nicht viel). In der anschließenden Feedback-Runde haben trotzdem die meisten überwiegend weiblichen Teilnehmer*innen ihr versichert, dass man ihr die Nervosität gar nicht angemerkt hätte.
Das halte ich für falsch. Denn diese Frau hat eine Lücke in ihren Fähigkeiten erkannt und sich zu diesem Seminar angemeldet, um an ihrem Problem zu arbeiten, wofür ich ihr als selbst Introvertierte Respekt zolle. Ihr zu beteuern, dass das Problem nicht existiert, mag zwar nett klingen und ebenso gemeint sein, zeigt aber keine Lösung auf, sondern stellt stattdessen ihre Wahrnehmung in Frage. Und das ist nicht wertschätzend. Gleichzeitig werden aber Frauen immer noch dazu erzogen, verbindlich zu sein: Nicht aggressiv, nicht laut, immer das Positive betonen, dem Anderen entgegenkommen, diplomatisch sein.
Ist Klarheit ein Frauenproblem?
Dieser Punkt ist meine Kritik an #teamwertschätzung. Denn in vielen Online-Räumen, die sich explizit an Frauen richten, ist zumindest ein Teil der Community so bemüht, keine Gefühle zu verletzen, dass jede Kritik in einen Vorschlag umformuliert wird. Statt zum Beispiel zu sagen: „In deinem Text fehlt mir die Aussage, was dein Produkt kann,“ schreibt man lieber: „Du könntest die Produktbenefits noch klarer machen“. Und das ist nicht mehr die gleiche Aussage, denn es macht einen Unterschied, ob ich vorschlage, XY noch klarer zu machen, oder ob ich kritisiere, dass XY ganz fehlt. Wenn etwas in meinen Texten fehlt, möchte ich das wissen.
Abgesehen davon halte ich es auch für falsch, mit dem Verweis auf einen Safe Space zu argumentieren. Nicht missverstehen: Safe Spaces sind sinnvoll, etwa um diskriminierungsfreie Räume zu schaffen. Das gilt selbstverständlich auch online. Aber Kritik an der eigenen Arbeit ist ein Teil jedes Berufs und muss meiner Meinung nach akzeptiert werden – auch wenn nicht direkt ein Lösungsvorschlag folgt. Mit persönlich missfällt auch der Verweis auf ganz viele andere Gruppenmitglieder, die ja derselben Meinung seien, sich das aber nicht zu sagen trauen – das ist für mich emotionale Manipulation.
Und noch eine persönliche Befindlichkeit meinerseits: Gerade Lifestyle-Coachings, die von Frauen für Frauen angeboten werden, sind mir oft zu – rosa, wenn du verstehst, was ich meine. Da ist die Rede vom „ganzheitlichen Menschen“, von „erfüllter Weiblichkeit“ oder „mehr Leichtigkeit im Alltag“. Es scheint besonders für Frauen einen Markt zu geben, in dem nur noch über Gefühle und Empfindungen gesprochen und dabei alles Konkrete vermieden wird. Dieser Ansatz bestätigt in meinen feministischen Augen nur die alten Geschlechterklischees von Frauen als zerbrechliche, emotionale Wesen. So möchte ich im Businesskontext auf keinen Fall gesehen werden, dazu gehört dann aber auch, dass mein erstes Gegenargument bei Kritik nicht meine verletzten Gefühle sind. Wenn ich nur positive Bestärkung nach dem Toll-aber-du-könntest-noch-Prinzip als konstruktiv akzeptiere, dann sollte ich die Frage vielleicht nicht öffentlich stellen.
Feedback: Was möchtest du erreichen?
Warum ich nicht zu 100 Prozent dem #teamklarekante folgen kann: Wenn mein Feedback zu brutal wirkt, stoße ich die Person vor den Kopf und bewirke eventuell nur, dass sie sich komplett zurückzieht. Und ab dem Punkt finde ich das Argument, dass man es ja anders gemeint habe und die Person überempfindlich reagiert, nicht mehr ausreichend. Denn ich äußere nicht nur meine Meinung, sondern löse damit eine Reaktion bei meinem Gegenüber aus, zum Besseren (der Text wird verbessert) oder Schlechteren (die Fragestellerin ist so verunsichert, dass sie die nächsten Wochen nicht mehr handlungsfähig ist). Um nochmal auf das Beispiel mit der Präsentation zurückzukommen: Glaubst du, wenn ich der Frau mit Lampenfieber gesagt hätte: „Du hast so gestottert, dass ich deinen Namen nicht verstanden habe“, hätte ihr das irgendwas gebracht?
Hier macht es sich #teamklarekante in meinen Augen oft zu einfach. So sehr ich Direktheit liebe und Bullshit-Bingo hasse, wenn ich mein Gegenüber beleidige, bin ich zu weit gegangen. Und auch wenn ich das nicht absichtlich getan habe, muss ich mir die Frage gefallen lassen, warum ich nicht wertschätzender formuliere – und zwar ohne direkt zurückzuschießen: „Dann frag halt nicht, wenn dir die Antworten nicht passen!“ Denn wenn ich jemanden Feedback anbiete, muss ich auch damit rechnen, dass die Person antwortet: „Sorry, das hilft mir jetzt gar nicht.“ Und wenn ich keinerlei Kritik an der Art und Weise meines Feedbacks dulde, dann sollte ich vielleicht nicht antworten.
Feedback: Wie geht es besser?
Nachdem ich jetzt lange genug zwischen den Stühlen getanzt habe, hier schnell noch meine persönlichen Highlights zum besseren Feedback. Funktioniert speziell in Facebook-Gruppen, aber nicht nur dort.
- Kritik ist kein Angriff. Halte dir immer vor Augen, dass sich die Kritik auf deine Fragestellung bezieht und nicht auf deine Person. Solltest ich dir zum Beispiel raten, deine Texte nochmal ins Lektorat zu geben, ist das kein Seitenhieb auf deine Intelligenz.
Nimm dir Zeit, Feedback zu geben. Viele Diskussionen um mangelnde Wertschätzung hängen sich an kurzen Kommentaren auf. Gerade wenn ich viel Kritik habe, nehme ich mir die Zeit, zu erklären, warum ich das so sehe. Und ich mache klar, dass es sich um meine Meinung handelt. - Nimm dir Zeit, Feedback zu verstehen. Ich ärgere mich auch über Kritik, vor allem, wenn sie hart formuliert ist. Aber bevor ich mit der Verfasserin diskutiere, gebe ich mir Zeit, abzukühlen. Du musst Kommentare, über die du dich ärgerst, nicht liken. Aber oft ist es für die Diskussion hilfreich, neutral zu antworten: „Ok, da muss ich erstmal drüber nachdenken.“ Und dann genau das zu tun.
- Erwarte keinen Dank für dein Feedback. Schon vor Facebook – damals, in der grauen Vorzeit der Internetforen – konnte man dieses Muster sehen: Jemand stellt eine Frage, empfindet die Kommentare als wenig hilfreich und sagt das auch, woraufhin sich die Kommentatorinnen beschweren, dass man so viel Zeit investiert und so wenig Dank bekommt. Ganz ehrlich: Das ist das Internet. Hier antwortest du aus eigener Initiative, deine Gegenleistung ist eine Gruppe, in der tatsächlich spannende Diskussionen stattfinden. Die Alternative sind Gruppen, in der jede Frage mit „Schick mir ne PN“ beantwortet wird. Das mag zwar bei der Akquise helfen, bietet aber null Mehrwert für die Community.
- Missverständlich ist nicht bösartig. Geh einfach mal davon aus, dass die Person, die den fiesen Kommentar hinterlassen hat, dir wirklich ehrlich helfen will. Sie hat sich eben nur unglücklich ausgedrückt, hat einen anderen Sinn für Humor oder reagiert aufgrund eigener Erlebnisse allergisch auf bestimmte Ausdrücke.
In diesem Sinne: Habt euch wieder lieb <3